Na ja, Mist! …

Mehrere Szenen aus dem Stück "Na ja, Mist! …", in dem der afrikanische Zuwanderer T. die Rolle des Zeitungsverkäufers, des Tellerwäschers, des Sozialarbeiters, des Konzertbesuchers, des Arbeitslosen etc. einnimmt.
Szene 1
T., der Zeitungsverkäufer (ZV)
Dezember, starker Schneefall, frostige Kälte, düster. Der Zeitungsverkäufer steht an einer wenig befahrenen Straßenkreuzung am Ende des 22. Bezirks. Keiner der Autofahrer bleibt stehen, um eine Zeitung zu kaufen, mancher hupt beim Vorbeifahren, da der ZV immer wieder zwischen den Autos hin- und her- läuft. Die vorüberkommenden Passanten hasten am ZV vorbei, um der Kälte möglichst rasch zu entkommen. Der ZV trägt eine grellgelbe Jacke mit der roten Aufschrift "Neue Kronenzeitung" und eine Mütze in der gleichen Farbe. Die Jacke scheint aus allen Nähten zu platzen, und ihre Ausbuchtungen lassen vermuten, daß der ZV mehrere Jacken oder Pullover darunter trägt. Sein Gesicht ist mit einem dicken Schal bis knapp unter die Augen vermummt. Außer dem Motorengeräusch der vorüberfahrenden Autos ist nur die heisere Stimme des ZV zu hören, der trotz seiner Heiserkeit laut die Zeitung ausruft. Ein Mann taucht auf und bleibt vor dem ZV stehen. Er reibt seine Hände und holt aus seiner Manteltasche eine Geldbörse hervor.
Koronenseitun! Koronenseitun!
In seiner Hand hält er eine Fünfschillingmünze
Woher kummst denn?
Wia haßt denn?
Scheiße!
Szene 2
T., der Tellerwäscher (TW)
In der Küche eines Gasthauses namens "Zum lustigen Gummiknödel" steht T., der Tellerwäscher, mit einer schief umgebundenen Schürze vor einem kleinen, rundlichen Mann mit schütterem Haar (der Wirt/W), der eine grüne Knickerbocker und ein weißes Hemd mit Rüschen trägt. Etwas im Hintergrund steht eine Frau in einer geblümten Kleiderschürze (die Wirtin/F). Aus dem Radio tönt ziemlich laut Blasmusik.
Host überhaupts scho amoj in an Gosthaus gorbeit?
Mmhmm. Aha. D'Orbeit is vo zehne bis zwa nochmittog, vier Stund pro Tog. I bin da Boss (er zeigt auf seine Frau) und sie is da Boss, wonn i net do bin. Du woscht’ s Gschirr o, die Tölla, es Bsteck, d'Glasln. Donn muast Erdäpfeln kochn und schöjn und des Gmias, Fleisch und die Getränkekistn ins Loger trogn, wonn a Lieferung kummt.
(Während seiner Rede wird der Wirt immer lauter).
Du muast a den Bodn aufwoschn, amoj in der Fruah, glei wonn'st kummst und amoj, bevur'st hamgehst. I mecht ollas picobello, vastehst?
Do sant PutzmittIn: Pril, Master Proper, Glänza, Cif, Wettex und Fetzn.
er wird sehr laut und spricht die folgenden Worte betont langsam
Es ist verboten, etwas zu essen, auch keine Reste nicht. Tuat ma lad, oba des geht net.
oba net bei da Orbeit. Noch da Orbeit. Er soj frogn, wonn er wos mecht. I bin da Boss!
Nach einer kurzen Pause, in der der Wirt tief aufseufzt
Host scho amoj in an Gosthaus gorbeit?
Dabei schaut er seine Frau an und sagt:
I was, des san ollas Deppen, denen muast ollas hundatmol sogn. Die Orbeit is von zehne bis zwa nochmittog. Du müssen Geschirr waschen, Kartoffeln kochen und schälen, den Boden aufwaschen.
Der TW nimmt seine Schürze ab und wirft sie in einen riesigen Kochtopf mit Kartoffeln.
Der Wirt reißt erschrocken von der Reaktion des TWs seinen Mund weit auf
Marantana! Jessas Maria!
Szene 3
T., der Sozialarbeiter (SA)
Der Sozialarbeiter steht am Gang eines Bildungsinstituts, das Schulungsmaß- nahmen für ausländische Arbeitslose anbietet. An der Wand hängt ein großes Schild, auf dem die Buchstaben SEI in riesigen Lettern stehen, darunter in un- klarer Zierschrift kaum lesbar 'Success - Erfolg - Institut'. Neben dem SA steht eine Lehrerin (L), die nervös in ihrer Tasche wühlt. Ein Kursteilnehmer (KT) nähert sich der Lehrerin. Er zeigt auf die Tafel an der Wand hinter ihr.
Das ist ein Wort, das vom Verb 'sein' stammt. Wenn man 'sein' im Imperativ 2. Person Singular oder im Konjunktiv 1. Person Singular und 3. Person Singular maskulin, feminin und neutrum bildet, dann heißt die richtige Form 'sei'. Das werden wir aber noch später im Kurs durchnehmen. Der SA tritt einen Schritt an die beiden heran und sagt zu L, die die erhobene Hand des KT vorher nicht gesehen hat.
Das ist eine Werbung, eine Abkürzung für Success Erfolg Institut. Sie sollten sich zuerst einmal für die deutsche Sprache interessieren und die Grammatik gut lernen, sonst bleibt man nämlich arbeitslos.
Niemand möchte heutzutage einen einstellen, der nicht gut deutsch kann.
Die deutsche Sprache ist sehr wichtig für uns!
Der KT zieht sich eingeschüchtert zurück, da er die Lehrerin mit seiner Frage verärgert zu haben scheint.
In einem großen Raum sitzen in einem Kreis die am Institut arbeitenden SozialarbeiterInnen und LehrerInnen. Die Supervisorin (SV) betritt den Raum, setzt sich, schlägt ihre Beine übereinander und nimmt aus ihrer Tasche einen Schreibblock und einen Stift.
Worüber wollen wir heute sprechen? Haben Sie sich etwas vorgenommen?
Gibt es Vorschläge?
Schweigen. Einer der Anwesenden schaut an die Wand ihm gegenüber, ein anderer aus dem Fenster, eine auf einen Zettel in ihrer Hand, zwei flüstern miteinander, eine schaut an die Decke. T., der SA, schaut ins Gesicht der SV und grinst. Die SV schaut an die Decke, dann wendet sie sich an die Lehrerin, die ebenfalls an die Decke blickt.
Ihre Frage klingt herausfordernd.
Ja, genau. Wir müssen darüber sprechen, daß die Lehrer einen eigenen Raum bekommen. Lehrer und Sozialarbeiter sollen voneinander getrennt in den Pausen sein können. Wir haben viel unter uns zu besprechen und auszudiskutieren.
Die SozialarbeiterInnen schauen einander verblüfft an, und die Dienstälteste von ihnen wirft der Vorrednerin einen durchbohrenden Blick zu. Das Gesicht der SV hat sich aufgehellt. Der bevorstehende Streit scheint sie glücklich zu machen. Alle beginnen durcheinander zu reden. Die SV wirft ab und zu einen zufriedenen Blick in die Runde und macht sich fleißig Notizen. T ., der SA, schaut neugierig in ihr Heft.
Wenn die Lehrer das wollen.
Die dienstälteste SA schaut mißtrauisch zwischen dem SA und L 2 hin und her, als ob eine Verschwörung im Gange wäre.
Die LehrerInnen murmeln zustimmende Worte.
Die SV macht ihr Heft zu und wendet sich noch einmal an den SA:
Die Dienstälte verärgert:
Wer soll bitte schön den Tisch kaufen, und die Kaffeemaschine?
Es gibt absolut kein Budget für solche Extrawünsche. Ich habe die Verantwortung zu tragen, keiner weiß hier, was das heißt.
Es wird immer lauter, alle reden durcheinander, und die Diskussion erinnert an die politischen Round-Table-Gespräche der ZIB 3.
Ihrer Körpersprache nach zu schließen, mögen Sie die Kollegin neben Ihnen nicht, sonst würden Sie nicht mit dem Rücken zu ihr sitzen.
Der SA setzt sich erschrocken wieder gerade hin, während ihm die Kollegin neben ihm einen herausfordernden Blick zuwirft.
Alle beginnen leise und verstohlen auf ihren Stühlen herumzurutschen.
Bei uns ist es unhöflich, wenn ein Mann einer Frau den Rücken zukehrt, vielleicht ist das ja bei Ihnen normal.
Abgesehen davon zeigen Sie ständig mit ihrem Zeigefinger auf andere Leute und gestikulieren dauernd mit ihren Händen in der Luft herum. Daraus kann man auf eine feindliche, aggressive Haltung gegenüber anderen schließen.
Wissen Sie überhaupt, wer Sieglinde Uwe ist? Eine der ersten Feministinnen, die die Körpersprache von Männern untersucht hat, die ihre Frauen schlecht behandeln. Sie ist dabei zu dem Resultat gekommen, daß sich Männer aus dem Orient und aus Afrika am aggressivsten gegenüber ihren Frauen verhalten; das konnte sie auch aus der unterdrückten und verklemmten Körpersprache der Frauen schließen. Und wissen Sie, wer Prof.Dr.Dr. Boston ist? Er hat drei Studien abgeschlossen!
Aber man muß auch bedenken, daß die Körpersprache in anderen Gesellschaften eine unterschiedliche Bedeutung zu hier haben kann. Es ist ...
Bei uns geht das nicht! Bei uns muß die Frau respektiert werden.
Eine L zieht den SA am Armel nach hinten und sagt in süßlichem Ton
Laß doch die Frau Doktor aussprechen!
Die SV beginnt noch einmal mit ihren Ausführungen, sie wiederholt ihre Worte von vorhin, dazwischen ist ab und zu ein „verdammt noch einmal“ zu hören und sie endet mit dem Wort „Mist“.
Die SV packt ihre Sachen ein. Alle im Raum schweigen, einer schaut an die Wand, eine aus dem Fenster, einer an die Decke, einer zu Boden…
Szene 4
T., der Konzertbesucher (KB)
Im Konzerthaus, auf der oberen Galerie; der KB sitzt in der zweiten
Reihe, hinter ihm ein Ehepaar, der Mann (M) in dunkelgrauem Anzug
und roter Krawatte, die Frau (F) in einem blaugelb gemusterten Seidenkleid,
ein riesiges Tuch um die Schultern geschlungen, stark geschminkt und
mit hoch auftoupiertem Haar. Sie trägt mehrere große Ringe und Armreifen
und an ihrer Brust steckt ein riesiger Maria-Theresientaler. Beide
sind etwa Mitte vierzig. Das New Yorker Symphonieorchester spielt
die 5. Sinfonie von Gustav Mahler. Es ist extrem heiß im Saal.
Der wischt sich ständig mit einem Taschentuch den Schweiß vom Gesicht.
Ha, dem wird doch nicht heiß sein!
Dabei sollte der das doch gewöhnt sein. Der KB dreht sich um.
Mist. Jetzt sind die schon überall.
Szene 5
T., der Arbeitslose (AL)
In einem Zimmer des Arbeitsamtes; T., der Arbeitslose, sitzt vor einem
Beamten (B 1), der auf einen Computerschirm starrt; ihm gegenüber
eine Beamtin (B2), die gerade die Unterlagen der türkischen Frau (F)
vor ihr durchblättert; beide Beamten tragen weiße Pantoffeln; auf
dem Tisch der Frau sitzen unzählige Plüschtiere in allen Farben und
Größen, hinter ihr an der Wand hängen Poster von Tierbabys; beide
haben vor sich riesige Kaffeehäferl; auf ihrem steht in goldener Schrift
Beate, auf seinem Gottfried.
Scheiße! Verdammte Scheiße!
Scheiße! Verdammte Scheiße!
AL schaut erschrocken und verwirrt um sich.
Jetzt sind Sie schon wieder da? Was ist denn nun wieder passiert?
Heute gibt's Berner und Pommes. Gehen wir essen.
An F:
Was ist denn nun?
Ich will Arbeit. Möchte neue Arbeit finden. Arbeitslosengeld nicht genug für mich und die Kinder.
Das Arbeitslosengeld ist nicht genug! Was denn noch, was glauben Sie, wo Sie sind? Im Schlaraffenland?
Ein Beamter steckt seinen Kopf zur Tür herein und ruft: Mahlzeit!
Mahlzeit!
F geht weg, B 2 schüttelt den Kopf und sagt zu B 1:
Was will der?
Wo haben Sie denn das entdeckt?
Der B von vorhin steckt wieder den Kopf durch die Tür und sagt:
Mahlzeit! Ich bin wieder zurück.
Er steht auf, geht zum Drucker, nimmt den Ausdruck und kommt zu AL zurück:
Schauen Sie, hier sind die Adressen und Telefonnummern.
Er wendet sich wieder seinem Computer zu und ruft dann durch das Mikrofon:
Herr Amet
AL faltet den Computerausdruck zusammen und steckt ihn in seine Tasche. Als die Tür hinter ihm ins Schloß fällt, sagt
Scheiße! Scheiße! Schon wieder!
Herr Ahmed, der gerade ins Zimmer getreten ist, geht erschrocken wieder zwei Schritte zurück und sagt
Na ja! Na ja!
Erschienen in „Afrikaner in Wien. Zwischen Mystifizierung ung Verteufelung. Erfahrungen und Analysen“, Erwin Ebermann (Hg.), Wien Frühjahr 2000