Der sprachlichen Isolation entgehen

Tarek Eltayeb

Der Schriftsteller Tarek Eltayeb berichtet, was es bedeutet, "sprachlos" zu sein - eine Fremde Feder

Ich kam am 12. Jänner 1984 nach Wien, um mein Studium fortzusetzen. Damals konnte ich kein Deutsch, erlebte neben der bitteren Kälte des Januars was es bedeutet, sprachlos zu sein, nichts zu verstehen, sich mit keinem unterhalten zu können - eine Kälte, die noch schwerer erträglich war als die winterliche. Um der sprachlichen Isolation zu entgehen, begann ich zu schreiben - in meiner Sprache Geschichten zu erzählen, Personen zu erfinden, die sich in meiner Sprache unterhielten, Erinnerungen an die Welt festzuhalten, aus der ich kam.

Mittlerweile sind fünfundzwanzig Jahre vergangen. Ich habe die deutsche Sprache erlernt, kann mich mit den Menschen unterhalten und habe das Gefühl der Isolation abgelegt. Das Schreiben ist ein wichtiger Teil meines Lebens geworden - doch immer noch in meiner Muttersprache, dem Arabischen. Erfahrungen, Gedanken, Emotionen, Bilder - die längst auch mit Wien zu tun haben (was aber schon einige Jahre gedauert hat) - in Worte zu fassen, gelingt mir nur in meiner Muttersprache, obwohl ich jetzt auf Deutsch träume, auf Deutsch zähle, den Großteil meines Alltags auf Deutsch bestreite. Das Arabische wird mein Schreibwerkzeug bleiben. Doch ich habe bemerkt, dass die deutsche Sprache auch in meinem Arabisch Spuren hinterlassen hat, die Art meines Schreibens beeinflusst, ebenso wie sich meine Muttersprache in meinem Deutsch wiederfindet. Es ist ein gutes Gefühl, beide zur Verfügung zu haben, zu entdecken, wie sich die eine in der anderen einnistet.

Aber die Sprache allein war und ist nicht genug: Gesten und Mimik zu verstehen, zu lernen, dass ein Lächeln nicht immer ein Lächeln bedeutet, den "Wiener Grant" nicht allzu ernst zu nehmen, Feste mitzuerleben, Zwischentöne wahrzunehmen, die österreichische Küche auszuprobieren und die Sicherheit, Mitgebrachtes nicht völlig aufzugeben und abzulegen, haben dazu beigetragen, mich hier wohl zu fühlen.

Seit vielen Jahren unterrichte ich meine Muttersprache als Fremdsprache und habe dabei viele Menschen kennen gelernt, die aus den unterschiedlichsten Gründen Arabisch lernen möchten. Als Sprachlehrer sehe ich es auch als meine Aufgabe, etwas von den kulturellen und sozialen Aspekten der arabisch sprechenden Welt zu vermitteln.

Viele sind offen und interessiert, doch manche denken, dass das Beherrschen der Sprache in Grammatik und Wortschatz ausreicht, um Kultur und Gesellschaft zu verstehen. Sprache anatomisch seziert und im Labor analysiert, abgehoben von den Menschen, die sie sprechen, weit weg von deren Alltag und ihrem Leben - Sprache als lebloses Objekt der Wissenschaft? Es braucht schon mehr, und es kann anstrengend werden, wenn man verstehen will.

Richtige Vokabel und die korrekte Aneinanderreihung der Wörter reichen nicht. Dazu ein kleines praktisches Beispiel: In arabischen Ländern ist es üblich, wenn man einem Gast etwas zu essen anbietet, dass dieser vorerst einmal dankend ablehnt - in der Gewissheit, dass er mindestens noch zweimal gefragt werden wird. Spätestens beim dritten Mal wird er annehmen. Ein Freund aus Ägypten, der zum ersten Mal Gast in einer österreichischen Familie war, verstand die Frage gut und lehnte in perfektem Deutsch höflich ab, als er gefragt wurde, ob er etwas essen wolle. Er wartete den restlichen Abend vergeblich und vor allem sehr hungrig auf ein zweites Angebot und ging mit dem Gefühl, dass seine Gastgeber nicht sehr gastfreundlich waren.

Wir alle sind mit Vorurteilen und Klischees aufgewachsen - negative wie auch positive. Viele sind überrascht, wenn sie zum ersten Mal den Klang der arabischen Sprache hören. Kennt man doch aus westlichen Filmen das Arabische oft als eine Aneinanderreihung von Kehllauten und chs, holprig und aggressiv. Schnell überträgt man diesen Eindruck auf die Menschen, die diese Sprache sprechen, also holprig und aggressiv.

Man muss sich auf eine Auseinandersetzung einlassen, den Pfad des rein wissenschaftlichen oder des touristischen Interesses verlassen, um die Oberfläche zu durchdringen. Es bedarf der Bereitschaft, sich auf Augenhöhe mit den Menschen der anderen Kultur zu unterhalten, zuzuhören, dem Anderen Raum zu lassen - nur dann macht Kommunikation Sinn, kann ein Austausch zustande kommen. Vielleicht würde mancher die verblüffende Entdeckung machen, dass es mehr Gemeinsames mit dem Anderen als Unterschiedliches gibt.

Ich habe Veranstaltungen erlebt, die den Dialog zwischen Ost und West zum Thema hatten, und am Podium saßen dann ausschließlich Gäste aus dem Westen, die sich gemeinsam über den Osten unterhielten. Geschieht so etwas absichtlich, um Konfrontationen zu vermeiden, oder aus der Überzeugung heraus, dass die Podiumsgäste ohnehin viel besser über den Osten Bescheid wüssten?

Ich denke, es lohnt sich, den Anderen direkt zu Wort kommen zu lassen, seinen Standpunkt unmittelbar kennen zu lernen, um sich dann entscheiden zu können, ob man diesen verstehen, akzeptieren, kritisieren oder ablehnen möchte. (Tarek Eltayeb, derStandard.at, Dezember 2008)