Lebensfahrten durch eine Narrenwelt

Lisan 3/2007

Von Thomas Weische – Lisan, Nr. 3, Basel 2007

Der Mann auf dem Foto schaut in die Ferne, und doch liegt auf seinem Gesicht ein Ausdruck gelassener Konzentration. Seine Mine scheint einem Lächeln nah, während nichtsdestoweniger auch ein tiefer Ernst in seinen Zügen wohnt.

Das vielsagende Antlitz ist das des in Wien schreibenden Tarek Eltayeb, der vor mehr als zwanzig Jahren in diese Metropole kam. Geboren wurde er vor 48 Jahren in Kairo als Sohn sudanesischer Eltern.

Mit besagtem Foto auf der Rückseite des Buchdeckels stellt sich der Schriftsteller den Lesern seines neuen Romans Das Palmenhaus vor. Die Erzählung knüpft an Eltayebs ersten Roman Städte ohne Dattelpalmen aus dem Jahre 2000 an.

Schon die beiden Stationen, die den Ausgangs- und den einstweiligen Zielpunkt des Protagonisten abgeben, bieten zusammen mit den Jahren, die zwischen ihnen liegen, außergewöhnliche Erzählmöglichkeiten.

Hamza, ein junger Mann, den es nach Wien getrieben hat, stammt aus dem Wüstenörtchen Wadd An-Naar im Sudan. Die Spannung zwischen Sphären, die heute gemeinhin als Zivilisationen, mindestens aber als Kulturen bezeichnet werden, bildet einen Strang, an welchem sich die Geschichte Hamzas entwickelt. Denn dieser reibt sich durchaus an seiner neuen westlichen Umgebung. Einer Welt entstammend, die unter der Ökonomie der Zeit versteht, letztere entweder vergehen oder eben stillstehen zu lassen, kann er dem hochfrequent getakteten Hetzen der Menschen in einer europäischen Metropole nur mit Befremden begegnen.

Und Hamza hat zwar mit der ihm eigenen Aufmerksamkeit registriert, dass man in Österreich Gesprächsfäden knüpfen kann durch Bemerkungen über das Wetter, doch für ihn ist dies mitnichten ein unverfängliches Thema, denn er leidet körperlich und seelisch an der beißenden Kälte Mitteleuropas.

Nun mag beides gerade Erwähnte, das aufgeputschte Tempo der Wiener und die schwache, abgedunkelte Sonne des Nordens, als Gegebenheit gelten können, die Hamza wohl oder übel hinnehmen muss.

Anders freilich, und hier mögen sich Leser und Hauptfigur einig sein, verhält es sich mit der Art, wie manche weißen Europäer mit dem schwarzen Neuwiener umgehen. Hamza hat die liebenswerte Schrulligkeit entwickelt, mit seiner Hauskatze Hakiema, zärtlich unter seinem Mantelkragen eingehüllt, aus dem Haus zu gehen. So tut er es auch bei einem Einkauf im Supermarkt. Dass sein Mantel eine seltsame Ausbuchtung zeigt aufgrund einer exzentrischen Tierliebe, könnte wohl wahrhaftig niemand ahnen. Doch bei einem Schwarzen wird in Europa oft gar nicht erst gefragt, denn die stereotype Antwort – ein Dieb, der etwas unter seinem Mantel versteckt! – ist bereits da. Und so stürzen der Ladendetektiv und sein Helfer einen nichtsahnenden Hamza zu Boden, samt dessen Einkäufen. Diese Szene ist einerseits für den Inhalt des Romans repräsentativ, insofern als dass Eltayeb stets ein klares Wort im Munde und in der Feder führt. So hält er der Stadt, die ihm 2005 den Preis des Elias Canetti Stipendiums verliehen hat, den Spiegel vor, und wenn Eltayeb dabei politisch werden muss, um bei Polizei und Bevölkerung verbrei-tete Rassismen auszuleuchten, dann tut er dies, und zwar stets inhaltlich glaubwürdig und zudem überzeugend integriert ins erzählerische Konzept.

Andererseits steht die Thematik mangelnder Offenheit gegenüber einem Eingewanderten innerhalb des Gesamtgefüges an Erzählungen in Das Palmenhaus keinesfalls im Vordergrund.

Der Roman ist vielmehr ein komplex geschichtetes Gebilde, in welchem vieles miteinander verwoben wird. Nicht zuletzt ist er die Lebensgeschichte eines Rebellen aus Humanität mit einem wie angeborenen Hang zu marginalisierten Figuren und Kreaturen. Die Hauptfigur Hamza wächst in dem sudanesischen Dorf Wadd An-Naar mit zwei kleinen Schwestern auf. Er fühlt Geborgenheit bei starken Frauen und ist von ihnen fasziniert, vor allem von seiner selbstbewussten und schönen Mutter, deren langen, arabischen Na-men Eltayeb an mancher Stelle im Buch wie den Titel einer Königin nennt.

Der kindliche Hamza des Wadd An-Naar knüpft auch Bande zu dem halbwilden Hund Sameh, diesen liebevoll pflegend. Doch in diese erosgetränkte Welt des ungezähmten Lebendigen bricht schon etwas ein, mit dem Hamza auch als erwachsener Mann immer wieder konfrontiert sein wird: Agenten der Züchtigung und Akteure der Disziplin, die häufig hinter der Maske des Patriarchen auftreten. So verbietet sein Vater, verbündet mit dem intellektuell schlichten, aber im Dorf mächtigen Sheikh El-Faki, dem Kinde, den Hund Sameh weiterhin zu füttern, da dieser ein unreines und Un-heil bringendes Tier sei. Und Hamzas Mutter ist zwar selbstsicher genug, gegen die Beschneidung ihrer älteren Tochter aufzubegehren, und im Streitgespräch mit ihrem geistig unbeweglichen Ehemann bleibt die Kluge auf dem Felde der Argumente auch Siegerin. Doch die Macht der Patriarchen schreitet, davon unangefochten, zur blutigen, unterdrückerischen Tat. Ideologisierten und disziplinarisch deformierten Trägern von Macht soll Hamza auf seiner Lebensfahrt noch öfter antreffen, die ihn über das von einer bizarren Frömmigkeitskampagne getroffene Khartum über eine absurd beginnende Episode des sudanesischen Bürgerkrieges im Zwangsdienst der Regierungsarmee und ein quirliges, aber kaum Arbeitsmöglichkeiten bietendes Kairo mit einer letztlich recht konservativen sudanesischen Community bis nach Wien führt, wo er nach kalten Tagen der Einsamkeit und elenden Jobbens für eine Boulevardzeitung auf seine große Liebe Sandra trifft. Und immer wieder, wenn Eltayeb an den verschiedenen Orten des Geschehens seine Hauptfigur auf solche Menschen der Macht stoßen lässt, erweisen sich Hamza und sein wohl in gewissem Maße autobiographisch schreibender Schöpfer als weise, wenn sie es vermeiden, sich in Hass und Bitterkeiten zu verstricken, sondern sich auf den nachsichtig zornigen Ausbruch »Narren!« beschränken.

Es ist, zusammenfassend gesprochen, fast unglaublich, welch reichhaltigen und weiten Kosmos Eltayeb auf knapp 350 Seiten entfaltet. Sprachlich brillant, erzählerisch gewandt und offensichtlich bewegt von der Liebe zum Menschen und zur Welt, breitet der Wiener Schriftsteller vor uns die faszinierend mäandrierenden Schleifen eines Lebens aus, und nimmt die Leserschaft dabei auf elegante Weise mit in Auseinandersetzungen mit den vielen »-ismen«, wie Kapitalismus, Fundamentalismus, Militarismus, die das Leben der Menschen in Nord wie Süd oft so widrig machen. Die Lektüre des Romans Das Palmenhaus wirkt so belebend, wie die lebensliebende Geisteshaltung des Autoren zu erfrischen vermag.

Ein kleines Manko ist aber doch noch zu vermelden, denn manche Dialoge zwischen den Charakteren, die ja im Alltagsleben angesiedelt sind, wirken zu sehr der Schriftsprache verhaftet, was jenen zwar nichts an Gehalt, jedoch manches an Authentizität nimmt. Tarek Eltayeb schaut auf der Fotografie des Einbandes in die Ferne. Hoffentlich gilt sein Blick schon den Szenerien seines nächsten Romans.