Zur Lesung von Tarek Eltayeb

Linz-Fest 2003
Von Richard Wall – Linz-Fest – Linz 2003

Als ich in der Sonne ging,
flüsterten sie: „Narr“
und fragten mich:
„Warum gehst du
denn nicht im Schatten?“
Ich antwortete:
„Ich kann die Hitze aushalten,
und außerdem sehe ich hier keinen Schatten.“
Sie schüttelten die Köpfe,
schlugen die Hände zusammen
und sagten laut: „Narr“ und
noch vieles mehr.

Aber ich ging,
wie ich wollte.

Café Lux, Wien, 11.08.2001

Um den Ehrentitel in diesem Gedicht aufzugreifen, sage ich: Tarek Eltayeb ist vernarrt in Schatten. Der Schatten, der die Form abstrahiert, die Farben auslöscht und die Binnenzeichnung des schattenwerfenden Objekts zum Verschwinden bringt, gewinnt allerdings, im Vergleich zum Objekt, das ihn auslöst, eine kompaktere Form und eine klarere Kontur. Mit diesen Worten könnte man auch die Gedichte von Tarek Eltayeb charakterisieren, das Verhältnis Wirklichkeit und Poesi. Diese Formensprache ist auch in den Tuschezeichnungen von Tarek Eltayeb offensichtlich. Dralle und / oder schlanke Figuren – schreitend, sitzend oder in sich ruhend –, manchmal von architektonischen Elementen, Gassen oder dergleichen flankiert, können sowohl als Ergänzung zu den Texten als auch als eigenständiger künstlerischer Ausdruck gesehen werden.

Während wir in unseren Breiten die längste Zeit eines Jahres drauf aus sind, der Sonne zu huldigen oder besonnte Plätze aufzusuchen, bedeutet der Schatten für jene, die die längste Zeit des Jahres mit der Raserei der Sonne zurechtkommen müssen, naturgemäß etwas anderes, eher das Gegenteil. Der Schatten wird mit Leben verknüpft, Sonne eher mit Vernichtung und Tod.

Tarek Eltayeb wurde 1959 als Sohn sudanesischer Eltern in Kairo geboren. Er hat dort Betriebswirtschaft studiert und lebt seit 1984 in Wien, wo er 1997 zum Doktor der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften promovierte. Er ist seit 1985 schriftstellerisch tätig und hat in zahlreichen arabischen und europäischen Zeitschriften publiziert. In der von Alfred Kolleritsch und Rainer Götz redigierten Zeitschrift manuskripte erschien 1999 der Gedichtzyklus "Risse eines Ortes", in dem er sein Ankommen in Wien als Fünfundzwanzig-
jähriger verarbeitet. In deutscher Sprache liegen, von seiner Frau Ursula Eltayeb übersetzt, bei edition selene vor: Ein mit Tauben und Gurren gefüllter Koffer (deutsch/arabisch), Gedichte, Aus dem Teppich meiner Schatten, ebenfalls Gedichte, sowie der Roman Städte ohne Dattelpalmen, der bereits auch in französischer Übersetzung erschienen ist. Die Zürcher Zeitung zählt Eltayeb "zu den vielversprechendsten Autoren, die zur Zeit in Österreich leben".