Tarek Eltayeb: Aus dem Teppich meiner Schatten

Hannes Vyoral – Podium – Nr. 127/128, 2003, St. Pölten

Es sind nicht die Wiener, die in Wiener Kaffeehäusern Gedichte schreiben — das ist mein erster Gedanke beim Durchblättern von Eltayebs neuem Lyrikband. Wie bei Serafettin Yildiz! Neben den Datierungen unterhalb der Gedichte steht häufig: Café Weidinger, Café Tirolerhof, Café Lux und — Café Nil.

Der seit 1984 in Wien lebende Eltayeb, Sohn sudanesischer Eltern, wuchs in Kairo auf. Und ohne diese Herkunft kann ich mir auch nicht vorstellen, daß man einen so umfangreichen Gedichtband dem Thema „Schatten“ widmen kann. Daß die Wahrnehmung des Schattens im „Land des Lichts“ Ägypten eine andere ist als in unseren Breiten mit Inversionswetterlagen, liegt auf der Hand. Und es scheint, als wären es die Schatten, die als einziges färbig sein und Farbe geben könnten in der Umgebung gleißenden Sonnenlichts. Jedes Gedicht ein anders nuancierter Schatten! Wirklich „dunkel“ oder „düster“ wird’s nur in Wien, wenn Eltayeb sich seines Schicksals, seiner Herkunft erinnert: „Jahreszeiten einer verpflanzten Palme“ oder „Mein Schicksal in Gottestagen“ kennen Podium-Leserlnnen genauso aus der Zeitschrift und dem Lyrikflugblatt wie z.B. das wunderbare, Christian Loidl gewidmete „Gedichtlos“. Um Eltayebs Band gerecht werdendes Lob — und Werbung — angedeihen zu lassen, fällt mir nichts Besseres ein, als noch diese, wie ich meine für sich selbst sprechenden Zeilen (S. 44) vorzustellen:

Ich blieb stehen und
beobachtete aus der Ferne
die beiden Kleinen im Garten:
ein Mädchen und einen Jungen.
Sie küsste ihn, und jedesmal,
wenn sie ihn küsste,
wischte er sich danach
den Mund ab.
Sie hielt seine Hände fest
nach dem letzten Kuss.
Er lachte.
Diesmal küsste er sie,
und ihre Hände waren
ineinander verschlungen.

Kleine Illustrationen des Autors und manche Gedichte im arabischen Original (die Übersetzung ins Deutsche besorgte Ursula Eltayeb) machen das gute Buch zu einem schönen Buch!