Städte und Tauben

Über zwei Bücher Tarek Eltayebs
Von Helmut Neundlinger. Erschienen am 15.09.2000.

Städte ohne Dattelpalmen

Tarek Eltayebs Texte sind in einem existenziellen Sinn "On the road". Das Unterwegssein ist ebenso Zeichen für ständiges Vertrieben-Werden wie für die Unabschließbarkeit des Lebens. Die Fremde ist manchmal ein gebrochenes Verspechen und manchmal eine Möglichkeit, sich und seine Erfahrungen zu sammeln.

"Städte ohne Dattelpalmen" (im Original 1988 erschienen) ist ein negativer Entwicklungsroman. Hamza, der jugendliche Protagonist, zieht nicht mit dem Vorsatz aus, die Welt oder sich selbst kennen zu lernen, sondern Geld zu verdienen. Dabei lernt er nach und nach die Welt kennen, aber nicht verstehen.

Jahrelange Dürre hat das Leben in Wadd-an-Nar zum Ausnahmezustand gemacht. Hamza ist dabei, erwachsen zu werden, als das Dorf vor dem Zusammenbruch steht.

Er beschließt, in der Stadt Omdurman Geld zu verdienen, damit seine Mutter und seine beiden Schwestern überleben können.

Er beschließt, in der Stadt Omdurman Geld zu verdienen, damit seine Mutter und seine beiden Schwestern überleben können. Er verlässt das Vertraute, die Familie und das Dorf, weil er keine andere Möglichkeit sieht, es zu retten. Dieser Zwiespalt wird seine Zeit in der Fremde bestimmen: Je weiter es ihn auf seiner Rettungsmission von zu Hause wegtreibt, desto mehr sehnt er sich danach zurück.

Da er keine anderen Möglichkeiten hat, zu Geld zu kommen, begibt er sich in die Hände einer Bande von Benzindieben. Seine moralischen Bedenken schlägt der Boss der Bande in den Wind: "Das ist doch kein Diebstahl! Das nennt man Umverteilung. Was am Tag schlecht verteilt worden ist, wird von uns nachts richtig gestellt." Ohne zu diesen Worten zu stehen, gewinnt Hamza daraus seine Existenzformel.

Auch seine weiteren Stationen bescheren ihm ein unsicheres Leben. Er verdingt sich als Obstverkäufer in Omdurman, darauf treibt es ihn nach Ägypten. Schließlich fährt er mit dem Schiff nach Europa. Dort steigt er in der Elendshierarchie eine Stufe und arbeitet nicht kriminell, sondern illegal in Italien und in Frankreich. Während sich bei diesen Arbeiten noch Freundschaften und Kontakte entwickeln, reduziert sich in Amsterdam, der letzten Station, sein Leben vollständig auf die Funktion des Geldverdienens.

Nach eineinhalb Jahren kehrt er wieder zurück in den Sudan und macht sich auf den Weg in sein Dorf. Schon in Kairo hat er von Hunger und Epidemien gehört, die sich in letzter Zeit ausgebreitet haben. Im Nachbardorf angekommen, findet er noch zwei Überlebende, die ihm erzählen, dass seine Mutter und die beiden Schwestern samt allen anderen von der Cholera dahingerafft worden sind. Das Ende seiner Irrfahrt verdichtet sich zu einem beinahe Beckett'schen Bild: Ein Mensch und ein umgestürzter Baum, der die zwei Puppen vergräbt, die er für seine toten Schwestern mitgebracht hat.

Ein mit Tauben und Gurren gefüllter Koffer

Eltayeb hält mit großer Genauigkeit die Bedeu-
tung von Momenten fest, ohne das offene Kontinuum zwischen Vergangenheit und Zukunft zum Stillstand zu bringen.

Gesammelte Kurzprosa und Lyrik aus den letzten zehn Jahren findet sich in dem im Vorjahr erschienenen Band "Ein mit Tauben und Gurren gefüllter Koffer". Diese Texte sind inhaltlich und formal zwischen Afrika und Europa angesiedelt. Das Unterwegssein, das im Roman noch fast identisch ist mit Getriebensein, hat hier oft die Leichtigkeit des Vorbeigehens. Eltayeb hält mit großer Genauigkeit die Bedeutung von Momenten fest, ohne das offene Kontinuum zwischen Vergangenheit und Zukunft zum Stillstand zu bringen.

Kernstück des Buches ist ein Triptychon mit dem Titel "Hammer - Ich - Amboss". Eine mit "Ich" überschriebene leere Seite bildet die Mitte dieses Textes. Unter "Hammer" finden sich acht afrikanische und unter "Amboss" ebenso viele wienerische Episoden, die einander auf vielfältige Weise entsprechen. Aus den Übereinstimmungen und Unterschieden wird ein Netz von Bedeutungen gewoben, das man "Ich" nennen könnte. Dieses "Ich" ist in beiden Welten oft neben oder außer sich, es träumt, ist berauscht, hält Reden in bewusstlosem Zustand, ist verliebt, erfindet Geschichten und wird deshalb für verrückt erklärt. Hammer und Amboss haben ein Ich geformt, das in zwei Sprachen wohnt und beide immer wieder verlassen kann, um unterwegs zu sein.

Zum Schluss sei noch gedankt für etwas, das man beim Lesen als Selbstverständlichkeit nimmt, obwohl es sich um die höchste Form von Fremdverständnis handelt: die so poetischen wie exakten Übersetzungen von Ursula Eltayeb.